spiritualität

Wenn man, wie ich, davon ausgeht, dass die wahre Religion unser Leben im Universum ist, dann könnte zu dieser Art von Religionsverständnis eine sehr freie Form der Spiritualität gehören.

Diese Geistigkeit ist ein Gefühl für die Endlosigkeit und Komplexität unserer Welt. Wir befinden uns, wie die bekannte Metapher sagt, am Strand eines riesigen Ozeans und betrachten ein Sandkorn zwischen unseren Fingern. 

Eine Intuition für den gesamten Strand, das Meer, den Himmel darüber und auch für das Treibgut, das angespült wird, weitet den Horizont.

christkind

Jesus von Nazaret war zum Zeitpunkt seiner Geburt selbstverständlich nicht Christ, sondern Jude. Die Rede vom Christkind kann hier naiv zu Missverständnissen führen. Nach einem Zeugnis des Neuen Testaments hat Jesus die strenge Einhaltung des jüdischen Glaubens gefordert.

Meint nicht, daß ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen.
Denn wahrlich, ich sage euch: Bis der Himmel und die Erde vergehen, soll auch nicht ein Jota oder ein Strichlein von dem Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist.
Wer nun eins dieser geringsten Gebote auflöst und so die Menschen lehrt, wird der Geringste heißen im Reich der Himmel; wer sie aber tut und lehrt, dieser wird groß heißen im Reich der Himmel. [Mt5]

Und:

Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.
Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir!
Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. [Mt15]

Die Israeliten empfanden sich als Kinder Gottes. Die unschöne Bezeichnung „Hunde“ (τὰ κυνάρια) für andere Volksstämme und Religionen wird bei Matthäus verwandt.

Das Gefühl der jüdischen Stammes- und Religionszugehörigkeit bei Jesus von Nazareth wird selbst in den christlichen Hauptüberlieferungen deutlich.

Das Schicksal des Sohnes Gottes, sein Wirken brachte dann etwas Neues hervor, das das Judentum so weit veränderte, dass eine neue Religion entstand, das Christentum.

widerstand

„Being a lover of freedom, when the revolution came in Germany, I looked to the universities to defend it, knowing that they had always boasted of their devotion to the cause of truth; but, no, the universities immediately were silenced. Then I looked to the great editors of the newspapers whose flaming editorials in days gone by had proclaimed their love of freedom; but they, like the universities, were silenced in a few short weeks. …
Only the Church stood squarely across the path of Hitler’s campaign for suppressing truth. I never had any special interest in the Church before, but now I feel a great affection and admiration because the Church alone has had the courage and persistence to stand for intellectual truth and moral freedom. I am forced thus to confess that what I once despised I now praise unreservedly.“
[Albert Einstein, TIME, 23 September 1940]

Das bedingungslose Festhalten an Überzeugungen, an Glaubenswahrheiten, zeichnet gerade den konservativen, traditionsorientierten Katholizismus aus. 

Demgegenüber ist die Wissenschaft bereit, Überzeugungen aufzugeben, Theorien zu ändern und Anschauungen zu verwerfen. Das ist eine Stärke in der Weiterentwicklung des Wissens, kann aber auch eine Schwäche sein, wenn der Meinungsumschwung, vielleicht sogar unbewusst, auf politischen Druck hin erfolgt. Dann ist es nicht die objektive Forschung nach der Wahrheit, die den Wechsel der Auffassung bringt, sondern man legt sich die „Wahrheit“ so zurecht, wie man sie haben möchte oder auf äußeren Druck hin zurechtbiegen muss. Die Sophisten waren die ersten überlieferten Meister hierin.

Aber man muss auch sehen, dass Einsteins zitierte Auffassung ohne historischen Abstand geäußert wurde. Es gab in der Wissenschaft, in der Presse Widerstand und es gab auch in den christlichen Kirchen Mitläufer des Regimes.

unbegreiflich

Friedrich von Hayek bezeichnete einerseits die Religion als einzig mögliches und wirksames Fundament für traditionsgeführte Lebensweisen und besonders für Moralvorstellungen.

Hier sieht er in der Tradition durch Evolution gewachsene und in der Auswahl (Selektion) bewährte Dinge, die rationalen Konstrukten überlegen sind, da hochkomplexe Strukturen nicht annähernd planbar und durch die Vernunft beherrschbar sein können.

Andererseits zeigt sich Hayek als Agnostiker, weil er Gott nicht verstehe. 

Mir stellt sich hier die Frage, ob er seine eigene Pointe nicht bemerkt hat. In der Religion, in der christlichen und ganz besonders schön in der sehr traditionell katholischen, ist Gott ein unergründliches Geheimnis; er und alle wesentlichen Glaubenstheoreme sind nicht rational fundiert, sind nicht durch die menschliche Vernunft hervorgebracht. Gerade darin schützen sie vor aufdringlicher und täppischer „Hinterfragbarkeit“.

Hayek müsste für seine traditionelle und nicht rationale Ethik den geheimnisvollen Gott, den mysteriösen Glauben an ihn,  begrüßen und, wo möglich, annehmen.

leben

Unbedingter Respekt vor menschlichem Leben schwindet an den Enden. Gegenüber gerade gezeugtem Leben und gegenüber alten Menschen schwindet die Achtung, der Schutz und die Liebe.

Ich denke das ist eine verhängnisvolle Tendenz. Alte Menschen sollten nicht in Institutionen abgeschoben werden und Embryonen oder Feten dürfen nicht getötet werden. Aus diesem Grund, dem unbedingten und einschränkungslosen Schutz des ganz jungen, des ganz alten und des menschlichen Lebens überhaupt, sollten sich auch unnatürliche Empfängnismethoden verbieten. Weiterhin muss die Familie als natürlicher Entstehungsort des Lebens stärker respektiert, geschützt und unterstützt werden. Und die Familie sollte auch der natürliche und selbstverständliche Ort des Alterns und Sterbens sein.

Zugegeben, hier denke ich katholisch.

Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 52: Charta der Familienrechte

Instruktion Dignitas Personae über einige Fragen der Bioethik

verdorben

Gute moralische Grundsätze der Religionen werden durch nicht überzeugende Glaubensinhalte verdorben. Anstatt Moral zu begründen, wie das häufig ins Feld geführt wurde, wird moralischem Verhalten innerhalb religiöser Traditionen der Boden entzogen durch metaphysische Annahmen, die für den stark wissenschaftlich geprägten Zeitgeist nicht nachvollziehbar sind.

Wo früher durch Religion ein Boden der Moralität geschaffen wurde, entzieht jene heute der Moral das Fundament.