ἀλήθεια

Wahrheit (ἀλήθεια) beanspruchen Evolutionsbiologen für sich, wenn sie die Illusionen des Katholizismus und anderer Religionen kritisieren. Die Wissenschaft ist wahr, die Religion ist ein Lügengebäude.

Aber was ist schon Wahrheit? Im Spiel der Evolution kommt es nicht so sehr darauf an, wer Recht hat und die Wahrheit sagt, sondern entscheidend ist die Erhaltung und Fortpflanzung von Lebewesen. Und was die Geburtenraten und damit die evolutionsbiologisch entscheidene Reproduktion betrifft, sind die Religionen mit ihren vermeindlichen Illusionen den modernen wissenschaftlich und religionskritisch eingestellten Gruppen um ein vielfaches überlegen.

Wenn in ein paar Generationen die wissenschaftlichen Zivilisationen verschwunden wären, würde es ihnen wenig helfen im Besitz der Wahrheit gewesen zu sein.

Wahrheit ist nur dann gut, wenn sie einen Selektionsvorteil bietet. Führen demgegenüber „Illusionen“ zu einer besseren Anpassung und Vermehrung, dann sind diese „Illusionen“ der Wahrheit überlegen und damit sind in gewisser Weise die Illusionen zumindest das Wahre, wenn nicht sogar die Wahrheit.

moralbegründung

Ein häufiger Topos der Rechtfertigung von Religion, genauer des katholischen Christentums, ist die Begründung von Moral.

Bemüht man allerdings dieses Argument, wird die Frage folgen, wie gut der Katholizismus diese Sache macht und weiter, wenn die Grundlegung von gutem Verhalten die Notwendigkeit der Religion erweist, dann wird konsequent nach der Religion auf dem Jahrmarkt der Möglichkeiten gesucht, die die Sache am besten kann.

Oder geht es ohne das Transzendente, kann Moral, und weiter Recht, begründet werden ohne Rekurs auf jenseits der Erfahrung liegende Horizonte?

Und dann fragt sich, wie ist der Effekt? Was bringt in der Tat gutes Handeln hervor? Aber zu dieser Frage gehört das Kriterium, was ist überhaupt gut? Und besonders interessant erscheint die Partei, für die etwas gut ist. Hierin differiert die Unterscheidung Nietzsches von Herren- und Sklavenmoral.

rationale ethik

Eine rational begründete Moral ist gefährlich.

Immer lassen sich Gründe und Argumente gegen ein sittliches Gebot finden. Die Spitzfindigkeiten nehmen kein Ende.

Die Sofisten spüren Schleichwege auf, um an unbequemen Haltungen und Konsequenzen vorbei zu lavieren.

Man redet sich sozusagen heraus und macht es sich bequem in willkürlichen Argumentationsfetzen.

Was könnte man dagegen anführen?

  • einmal die Religion, eine religiöse Haltung
  • die Tradition, das Bewährte, das allerdings auch heute bestehen können muss
  • die Ästhetik, das Schöne, bietet auch moralische und außerrationale Kriterien

kriegsgrund

Zwei geistige Haltungen haben enormen Einfluss auf die Welt.

Die eine Haltung ist die religiös, weltanschauliche, die andere und jüngere Haltung ist die wissenschaftlich, technische.

Weltanschauungen und Wissenschaft bestehen nebeneinander.

Beide Strömungen könne Berge versetzen. Aber nur Religionen und Weltanschauungen treiben zu Kriegen. Die wissenschaftliche Technik stellt zum Krieg furchtbare Mittel zur Verfügung, über deren Anwendung allerdings die Ideologien entscheiden.

Grund und Anlass zum Krieg bildet immer etwas Religiöses und Weltanschauliches, nie etwas Technisches und Wissenschaftliches.

unbegreiflich

Friedrich von Hayek bezeichnete einerseits die Religion als einzig mögliches und wirksames Fundament für traditionsgeführte Lebensweisen und besonders für Moralvorstellungen.

Hier sieht er in der Tradition durch Evolution gewachsene und in der Auswahl (Selektion) bewährte Dinge, die rationalen Konstrukten überlegen sind, da hochkomplexe Strukturen nicht annähernd planbar und durch die Vernunft beherrschbar sein können.

Andererseits zeigt sich Hayek als Agnostiker, weil er Gott nicht verstehe. 

Mir stellt sich hier die Frage, ob er seine eigene Pointe nicht bemerkt hat. In der Religion, in der christlichen und ganz besonders schön in der sehr traditionell katholischen, ist Gott ein unergründliches Geheimnis; er und alle wesentlichen Glaubenstheoreme sind nicht rational fundiert, sind nicht durch die menschliche Vernunft hervorgebracht. Gerade darin schützen sie vor aufdringlicher und täppischer „Hinterfragbarkeit“.

Hayek müsste für seine traditionelle und nicht rationale Ethik den geheimnisvollen Gott, den mysteriösen Glauben an ihn,  begrüßen und, wo möglich, annehmen.