praktische Philosophie
Man muss sich nicht allzu sehr beunruhigen, sorgen über Zukünftiges, hadern mit Geschehenem. Wenn Gott, das Geschick, die Vorsehung oder die Naturgesetze etwas anderes „gewollt“ hätten, würde es gegenwärtig so sein und wäre auch früher so geschehen.
Die Freiheit des Menschen ist nur ein Gedanke an mögliche zukünftige Handlungsalternativen. Sobald die Gewitterfront der Gegenwart uns erreicht hat, ist alles eindeutig bestimmt und geschieht gerade so und in der Vergangenheit, in der Geschichte, ist es genau so geschehen. Die Zeitenscheide der Gegenwart macht jede Alternative unmöglich und so gibt es lediglich eine Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit geschieht unerbittlich und im „großen Plan“ ist sie, so stellen wir uns das vor, genau so angelegt und das einschließlich der menschlichen Freiheit als gedanklicher Vorwegnahme möglicher Entscheidungen.
praktische Philosophie
Unsere Kommunikation ist auf Konsumwerbung ausgerichtet. Die schnelle und möglichst einfach erscheinende Befriedigung der Wünsche wird vorgespielt.
Dagegen kommen höhere Ziele, langfristige Aufgaben, die Verzicht erfordern, zu kurz. Bildung, das Erlernen und Üben von Fremdsprachen, auch die Schulung in der eigenen Sprache, die Selbsterziehung und Entwicklung in Kunst und Wissenschaft bleiben gegenüber der schalen, schnellen und billigen Bedürfnisbefriedigung auf der Strecke.
Der Komerz schafft den Geschmack eines Lebens von Surrogaten. Das Wahre und Wirkliche wird so den Menschen vorenthalten. Verzicht, Durchhalten, langfristige Anstrengung und Höherentwicklung, Disziplin und echter Gewinn gehen verloren.
Sich Gehenlassen kommt vor Disziplin, Genießen kommt vor Verzicht und Askese, das Sofort besiegt das Später. Alles wird schlapp und kurzatmig.
„Aber wir, die wir weder Jesuiten, noch Demokraten, noch selbst Deutsche genug sind, wir guten Europäer und freien, sehr freien Geister – wir haben sie noch, die ganze Noth des Geistes und die ganze Spannung seines Bogens! Und vielleicht auch den Pfeil, die Aufgabe, wer weiß? das Ziel …
Sils-Maria,Oberengadin im Juni 1885″
[Friedrich Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse, Vorrede]
praktische Philosophie
Die körperlich Fusskranken sind bisweilen auch geistig nicht gesund. Wer hinkt, könnte ebenso in seinen Gedankengängen behindert sein. Einen Denker möchte ich, wo möglich, gehen sehn, das in Anlehnung an die Peripatetiker, an Nietzsche und Heidegger.
praktische Philosophie
Nonkonformismus kann sich nicht jeder leisten. Wo der Anpassungsdruck groß ist, sind die Menschen eher uniform. Diese Einsicht formulierte Platon in der Politeia. Erst wenn jemand sehr sicher im Sattel sitzt oder wenn er auf der anderen Seite nichts mehr zu verlieren hat, dann könnte er zur Exzentrik, zur unangepassten Individualität neigen. Angabe kann damit auch verbunden sein, in dem Sinne, dass man sich ohne Grund so arriviert gibt, als habe man die Befolgung der Konventionen nicht mehr nötig, als könne man sich eine gewisse Freiheit leisten.
Eine Scheinform des Exzentrikers ist der „Kreative“, der auch wieder einer strengen Norm des Unangepasstseins in erschreckender Phantasielosigkeit und einem beträchtlichen Gruppenzwang folgt.
praktische Philosophie
Die Gescheiterten kompensieren. Sie erklären die herrschenden Spielregeln für ungültig und behaupten, dass andere Regeln besser sind. Nach diesen anderen Regeln würden die Gescheiterten gewinnen. Nach den von ihnen anerkannten Maßstäben wären sie die eigentlichen Sieger.
Dieses Denkmuster findet man bei Revolutionären, bei Paranoikern, bei vielen Zukurzgekommenen und Unzufriedenen.
Leben, praktische Philosophie
Wie kann man sich anständig zu den Mitmenschen verhalten? Nun, es dürfte viele Wege dorthin geben.
Eine Hilfe zum Ziel, anständig zu sein, ist ein Gedankenexperiment:
Nehmen wir an, der jeweilige Mensch wäre der letzte mit dem wir es in diesem Leben zu tun hätten. Danach käme das Nirwana, das Nichts, das jüngste Gericht, das Paradies und so weiter.
Und auch wenn wir, wie ich hoffe, noch sehr lange und gut leben werden, so hilft diese Fiktion den Umgang mit den Anderen zu klären und letztgültig zu formen.
Ganz ausgeschlossen ist es ja auch nicht, dass der Gedanke real wird und irgendwann einmal werden wir mit dem letzten Menschen im Leben zu tun haben. Hoffentlich sind wir dann nicht allein. Und hoffentlich haben wir versucht, uns davor zu all den anderen Menschen wenigstens einigermaßen anständig zu verhalten.