stolz

Eine mögliche dichotome Bestimmung menschlichen Seins ist die von Sieger und Verlierer, von Täter und Opfer, von Handelnden und Leidenden. Es ist auch die Unterscheidung von geradem, aufrechtem und gebeugtem Gang, von straffer und erschlaffter Muskulatur, von Strahlendem und Abgestumpftem. Das Christentum stellt das Leiden, das Opfer ins Zentrum. Andere Mythologien setzen den Sieger in die Mitte der Betachtung.

wohlbehagen

Der moderne, der „letzte Mensch“, möchte nicht mehr leiden, er möchte auch dann nicht leiden, wenn höhere Ziele nur unter Opfern erreichbar sind. Anstrengungen, harte Arbeit, Lernen, Üben, Durchhalten sind nicht seine Sache. Erwartet wird sofortige, mühelose Befriedigung aller Bedürfnisse und die werbende Medienwelt gaukelt die Verwirklichung dieses Wunsches vor. Drogen, Medikament und arbeitslose Einkommen helfen ebenso. Auch die Kunst, besonders die bildenden Künste glorifizieren gegenwärtig den mühelosen Dilletantismus.

Demgegenüber ist sogar eine Verselbstständigung und Exstase des Opfers im Christentum und das Märtyrer- und Asketentum in vielen Religionen höher zu werten.

Noch besser ist allerdings die Übung, Mühen zu tragen, in der Erwartung einen höheren Nutzen, der die Opfer überwiegt, zu erzielen.

leid, not und schmerz – theodizee 2

Warum das viele Leiden auf der Welt, ganz besonders mein eigenes? Aber selbst das Leiden entfernter, uns fremder Menschen berührt. Warum Krieg, Folter, Krankheit, Sterben …?

Hier ist die, in der Menschheitsgeschichte schon seit Jahrtausenden gesuchte, Antwort:

Leiden, und allgemein unangenehme Empfindungen, wie Schmerz, Trauer, Müdigkeit, Krankheitsgefühl, Angst …, sind hoch nützliche Erscheinungen der Seele.

Diese negativen Seelenphänomene sind in der Evolution entstanden, weil sie dazu führen, dass Lebewesen Zustände meiden, die eine negative Auswirkung auf ihre Überlebens- und Vermehrungsfähigkeit haben. Leiden bedingt, dass negative Faktoren für die evolutionäre Fitness vermieden werden und damit ist Leiden selbst ein positiver Faktor für das Gedeihen, für das Leben.

Somit ist Gott auch in der Frage des Leidens, der Schmerzen, der ganzen negativen Empfindungen gerechtfertigt. Diese negativen Empfindungen zeigen uns die Richtung zum Guten. Es ist sozusagen die entgegengesetzte Richtung. 

Schmerz z.B. zeigt uns Einflüsse, die wir im Sinne unserer Fitness, im Sinne unserer Erhaltung und Fortpflanzung meiden sollten. Das gilt zumindest so häufig, dass Lebewesen, die Schmerz empfinden konnten und damit schädlichen Reizen ausgewichen sind, einen Selektionsvorteil hatten.

Allgemein gefasst dienen negative Empfindungen der evolutionsbiologischen Fitness. Sie zeigen den Lebewesen Dinge auf, die sie vermeiden sollten. Durch diese Vermeidung haben dann die Lebewesen, die zu diesen negativen Empfindungen fähig sind, einen Selektionsvorteil.

An Leprakranken, die an ihren Füßen keinen Schmerz mehr fühlen können, zeigt sich, wie gut es in vielen Fällen ist, wenn wir zur Schmerzempfindung fähig sind. Diese Leprakranken haben schreckliche Verletzungen und Infektionen an Körperteilen, wie den Füßen, an denen auch die negativen Empfindungen nicht mehr funktionieren.

Es ist somit in vielen Fällen gut, wenn wir leiden und überhaupt leiden können. Das Leiden kann uns dazu bringen, unsere Fitness zu erhöhen. Es kann uns einen Selektionsvorteil sichern. Leiden ist in diesem Sinne gut.

Es ist nicht gut im Sinne des eigentlich Guten. Das Gute wird als das zu Suchende, das Erstrebenswerte empfunden. In diesem direkten Sinn sind Leiden und Not dem Guten natürlich entgegengesetzt. Wir sind bestrebt, und sollten das auch sein, das Leiden wo möglich zu vermeiden. Leiden zeigt uns, wie schon bemerkt, die dem Guten entgegengesetzte Richtung und führt dadurch indirekt auch zum Guten. Leiden ist als Wegweiser zu seinem Gegenteil in der Tat gut und nützlich. Niemand würde den Nutzen und Sinn von Wegweisern bestreiten wollen.

Ein besonderer Fall ist, wenn, wie bei vielen nützlichen Anstrengungen, das Leiden für den Preis eines höheren Gutes in Kauf genommen wird. So ist es sinnvoll, wenn Kinder leiden, weil sie Hausaufgaben machen müssen, weil durch dieses meist geringe Leiden das Gut einer Erziehung und Bildung junger Menschen gewonnen wird. Dieses Gut steht um ein Vielfaches höher, als das Leiden an den Hausaufgaben. Und ich habe mir sagen lassen, und erinnere mich sogar entfernt aus meiner eigenen Schulzeit daran, dass ganz selten und äußerst “bisweilen” es vorkommen könnte, dass Kinder und auch Erwachsene ihre “unangenehmen” Pflichten gerne und mit Freude erfüllen.

Das ist aber ein anderes Thema, es ist das Thema des Preises für ein Gut, den wir zu “zahlen” bereit sind.

Wir haben in diesem Beitrag erklärt, warum die Existenz von Leiden, Schmerzen … in Einklang ist mit der Vorstellung von einem, wie mein Sohn treffend formuliert, “guten Gott”.